Wolfgang Friedrichs plastische Kunst bezieht sich stets auf ein räumliches Umfeld, dass indessen nur in Ausnahmefällen ein reales städtebauliches oder natürliches ist. Immer jedoch ist es ein Raum, der zuerst im Kopf des Künstlers existiert – eine bestimmte atmosphärische Vorstellung, die einerseits geprägt ist vom Erleben seiner alltäglichen Umwelt außerhalb des Ateliers, andererseits von einer an den Eckpfeilern klassischer Bildung orientierten Ideen- und Gedankenwelt. Der Ausbau dieser Gedankenwelt, das Differenzieren, Präzisieren, Erweitern, Sammeln von Ideen in der Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte und mit dem Werk von Kollegen sind dem Bildhauer wichtig. „Man sucht die Brüder im Geiste“ begründet er den zum Teil erheblichen Zeitaufwand, den er diesem Teil seiner Arbeit widmet. Auch das ist eine atmosphärische Vorstellung: Wie es sein könnte mit der Kunst, die ein gemeinschaftliches Ereignis ist und als solches auf Dauer humane Werte in die Gesellschaft einbringt.

Wolfgang Friedrich ist weder ein Mann des Happenings noch ist er der große Einzelgänger, der ein solitäres Werk schaffen muss, um damit Räume zu besetzen. Vielmehr ist er einer, der behutsam, überlegt und maßvoll vorgeht, auch und vor allem natürlich in Bezug auf seine eigene Kunst. Seine Arbeiten in zumeist kleinem und mittlerem Format unterliegen einem langen Prozess der Klärung sowohl formaler als auch inhaltlicher Seiten. Viele Figuren existieren mehrmals und in einem wenig dauerhaften Material, einem Material der Vorstufe sozusagen - am häufigsten Wachs kombiniert mit Japanpapier und Farbe, was den Eindruck von Bronze vortäuscht und ein recht genaues Bild vom möglicherweise fertigen Stück erlaubt. Wolfgang Friedrich arbeitet nicht nur an den Figuren selbst weiter, sondern er inszeniert sie auch immer wieder neu, in anderen räumlichen Zusammenhängen und thematischen Bezügen, wobei es ihm um eine bestimmte Metaphorik im Hinblick auf die menschliche Existenz in Natur und Geschichte geht.

Er arbeitet aus dem Amorphen heraus, sagt der Bildhauer. Das Amorphe ist bei Wolfgang Friedrich nicht nur ein ungeformter Stoff wie etwa das Wachs oder die Masse der Steine am Ostseestrand, von denen er einzelne in seine Figuren einbaut - sondern ist auch der gewaltige Fundus an Kreationen, die die Museen der Welt, die archäologischen Fundstätten und die Ateliers der Künstler, einschließlich seiner eigenen Werkstatt, bevölkern. Wenn Friedrich also vom Amorphen spricht, ist die Geschichte mitgemeint, ihr bruchstückhafter und unerschlossener Charakter. Was der Bildhauer an Figürlichem schafft - stehende, liegende, schwebende Gestalten, Torsi, Köpfe und Büsten - ist als Bruchstück von vornherein konzipiert, als Element eines größeren Ganzen, das - in welcher Inszenierung auch immer - wiederum fragmentarisch ist, nicht auf Totalität hin angelegt. Das ist es, was der Kunst Wolfgang Friedrichs ihren individuellen Platz in der klassischen Bildhauerei des 20. Jahrhunderts anweist - jener Tradition mit ihren Hintergründen in Antike, Mittelalter und neunzehntem Jahrhundert, der er seine Figurenauffassung verdankt. Die Kunst Wolfgang Friedrichs ist architektonisch aber nicht denkmalhaft. Sie behauptet nicht Wahrheiten und Wesentlichkeiten, sondern ist der Versuch einer Aufarbeitung existenzieller Zusammenhänge, die erst noch erkannt werden müssen.

Auszug aus der Rede von Katrin Arrieta anlässlich einer Ausstellungseröffnung im Roten Pavillon Bad Doberan im Herbst 2001