Heute nennt er als bildhauerische Vorbilder die deutschen Meister der harmonisch-sensiblen realistischen Körperlichkeit und Figuration des 20. Jahrhunderts; Hermann Blumenthai, Ludwig Kasper und Gerhard Marcks, von den internatio­nalen Heroen den frühen »archaischen« Marino Marini und Henry Moore. Das Friedrich'sche (Euvre vermittelt jenen damals begründeten Spannungsbogen zwischen antiker Hochkultur und klassischer Moderne, aus dem es Anregungen schöpft und seinen originären Charakter herausbildet und weitertreibt. »Ich sehe meine Arbeit als Gratwanderung hin zur eigenen Mitte« formuliert der Bildhauer heute sein Credo. Zwischen Figur und Zeichen, Gegenständlichkeit und Abstraktion scheint er bei seinen plastischen und skulpturalen Form- und Materialuntersuchungen zur Realisierung seiner Bildideen und Bildobjekte diesem angestrebten Ideal der »eigenen Mitte« nahe zu kommen: »Vom sinnlich Organischen hin zum tektonisch Brüchigen - Idyllen und Katastrophen - die Vergegenwärtigung des antiken Erbes auf dem Horizont heutiger Erfahrung.« Antike Tempel fallen einem ein, die Akropolis und die Korenhalle des Erechtheions und deren längst dem Verfall der Jahrtausende anheimgefallene idealisch-vollkommene Harmonie, die doch oder gerade dadurch die Ahnung des Ewigkeitswertes ihrer Schönheit bewahrt haben. Eine nach dem Maß der Götter und der Menschen gestaltete Welt, im Fragmentarischen und Ruinenhaften überliefert, in der sich die Raumdialektik von Innen und Außen und ihre Tiefenschichtungen offenlegen.

Schon in den Friedrich'schen Versionen eines »Archäologischen Grabungsfeldes« oder eines »Tempels der Aphrodite« von 1984 kündigt sich die programmatische Hinwendung zu einer Auffassung des Plastisch-Skulpturalen an, die das Körper-Raumverhältnis in der Dialektik und Balance der Kombination von figuralen und architektonischen Formen realisiert. Hier spiegelt sich die ursprüngliche Verwurzelung seiner Intentionen in der Beziehung der Plastik zur Architektur als der »Mutter der Künste«, in der das plastische Werk gleichsam aufgehoben erscheint und in einmaligen Wirkungsräumen eine Steigerung erfährt. Das ist dann wohl die »Welt als Modell«, wie Wolfgang Friedrich seine Ausstellung und wohl sein Schaffen überhaupt überschreibt. Diese kleinplastisch-architektonischen Ensembles und collageartigen Figuren-Raum-Tableaus sind gleichermaßen Erinnerung und Vision einer vom Menschen gebauten Welt der Harmonie und des Ausgleichs, in der die Dinge in einer sinnlichen Schönheit aufeinander reagieren.

In seinem Architekturverhältnis geht es Wolfgang Friedrich um die Epochen des Gesamtkunstwerks, in denen sich die bildenden Künste noch unter der Obhut der Architektur vereinten. In Rostock konnte er zumindest einmal mit einem in diesen Maßstäben denkenden und bauenden Architekten zusammenarbeiten, als Mitte der achtziger Jahre das Fünf-­Giebel-Haus am Universitätsplatz entstand. Architekten und Landschaftsplaner sind für Wolfgang Friedrich seit Jahren anregende und ergänzende Partner, wenn seine Entwürfe und Ideen, hin und wieder auch Realisationen den öffentlichen Raum anvisieren oder er als Ideengeber und Entwurfsplaner das gestalterische Feld für seine Berufskollegen vorbereitet. In diesem Sinne hat er in den bald drei Rostocker Schaffens-Jahrzehnten aktiv und passiv, mit Rat und Tat am äußeren Gestaltbild seiner Stadt mitgewirkt.

Ganz wesentlich lebt dieses plastische Werk aus einem ursprünglichen Bekenntnis zur gegenständlichen Figur.
Die lebensgroße Bronze »Männlicher Torso«, in einer ersten Fassung schon von 1979, wie überhaupt die Akttorsi der ersten 80er Jahre, sind feinnervige Versionen des klassischen Themas vom nackten Menschen. Die eigentlich originäre Entdeckung des Figürlichen ereignet sich in einer Symbiose von Torso und Gewandfigur, wie sie in einer »Trauernden Japanerin«, (1990) oder den »Parzen« (1999) den Geist antiker Klassizität adsorbieren. Der Torso zwingt zur Konzen­tration, ist in seiner Abstrahierung assoziativ unter Vermeidung des Erzählerischen. Das Gewand komprimiert die große Form, bei Friedrich dient sie der Tektonisierung der Figur. So erreicht er Ausgleich und Harmonie innerer Formlogik und äußerer Gestaltordnung, Ruhe und Erhabenheit, die den Gesamtgestus der Einzelplastiken bestimmen, die so zu einer figuralen Abstraktion geführt werden. Auch das sind die Gratwanderungen auf Friedrichs Weg zur eigenen künstlerischen Mitte. Eine aus der Gewandplastik entwickelte Formkonzentration verdichtet sich in anderen Gestal­tungen zu zeichenhaften Monumenten bildhauerisch-plastischer Weltinterpretation von »Kraft und Gegenkraft, »Steigen und Stürzen«, »Chaos und Ordnung«. Es scheinen letzte formale Konsequenzen des Figürlichen erreicht, aus dem neue Anfänge geboren werden. Der »Wechsel vom Organischen zum Tektonischen und zurück«, wie er es einmal halb scherzhaft aber nicht ohne Hintersinn genannt hat, erscheint als der sich andauernd erneuernde und in Fragestellende Kreislauf, aus dem Schaffensantriebe erwachsen.

Schaffensantrieb hat hier u.a. aber auch etwas mit einem ursprünglichen, lustvollen und ganz ernsthaften Spieltrieb zu tun. Wolfgang Friedrich ist im übertragenen Sinne ein unermüdlicher Arrangeur und Choreograph, Regisseur und Bühnenbildner, der für seine Plastiken immer wieder neue Existenzräume und Raumbeziehungen erfinden möchte. Seine Ateliers waren und sind kleine Welttheater, Bühnen, auf denen die Figuren in den Regalen, auf den Arbeitsböcken und Tischen in wechselnden Konstellationen agieren. Das sich wandelnde Tageslicht allein kann schon Anregung genug sein. Konsequenter Weise steht am derzeitigen Ende dieser Werklinie ein Schachspiel, dessen spielerischer Gestaltwandel durch Logik und Folgerichtigkeit begründet ist.

Zu den Entdeckungen dieses Rückblicks gehört der Zeichner und Grafiker, dessen Klaviatur an bildnerischen Ausdrucksweisen der Gattung so reich und vielfältig ist. Die reine Bildhauerzeichnung zur Klärung formaler Gestal­tungsprobleme der Plastik ist hier längst nicht mehr gemeint. Friedrich entwickelt die Zeichnung nicht aus der umriss­formenden Linie, sondern aus den Grauwerten der Tonigkeit in Schraffur und Aquatinta und erschafft ganz eigene Erlebnisfelder.

Das Gestaltungsmaterial Wachs, eigentlich zur Formung des Modells für den Bronzeguß gedacht, entwickelt in der plastischen Behandlung einen eigentümlichen Charakter von Weichheit und Verletzlichkeit, der den Figurationen eine amorphe Innenstruktur verleiht. Das könnte ein Defizit sein, gelänge es dem Bildhauer nicht, aus der Oberflächen­behandlung in Farbe und Struktur eigene ästhetische Reize zu gewinnen.

Wie ja Bildhauer, wie bildende Künstler überhaupt, im Zeitalter der Moderne seit gut hundert Jahren keine Scheu vor Ersatzmaterial haben. Der »Archäologe« Friedrich bevorzugt Fundobjekte, deren Geschichte durch Patina oder fragmentarische Gestalt bezeugt ist: mittelalterliche Ziegelsteine und Dachpfannen etwa, die man in seinen Miniarchitekturen und Raumnischen wiederfindet. Fundstücke aus heutigem Zivilisationsmüll allerdings werden für ihn interes­sant, wenn etwa die bizarre technoide Form einer Styropor-Verpackung nach plastischer Überarbeitung eine Verzauberung erfährt und zu einer labyrinthischen Tempelruine mutiert.

Wenn man Wolfgang Friedrich nach Vorhaben und nächsten Zielen fragt, nennt er das Relief, dem er sich längst wieder zuwenden wollte, die mehrteilige Plastik, die er weiterentwickeln möchte, die Medaille oder die Radierung. Diese Werkschau im Jahre 2005 ist nicht mehr und nicht weniger als eine Zwischenbilanz.

Klaus Tiedemann (Aus der Rede zur Eröffnung der Ausstellung in der Kunsthalle Rostock im April 2005)