Ostsee-Zeitung v. 11. April 2005

Friedrichs Welt

In der Kunsthalle präsentiert sich der Rostocker Bildhauer Wolfgang Friedrich mit archaisch anmutender Plastik als Meister der kleinen Form.

Rostock (OZ) „Archäologe! Die meisten wollten doch mal Archäologen werden“, schwärmt Wolfgang Friedrich. Er selbst hat sich zwar als junger Mann auf Bildhauerei geworfen, aber was er in seiner Kunst (er)findet, mutet zu großen Teilen an wie glücklich ergrabene Schätze und Überreste antiker Stätten. „Die Welt als Modell“ heißt die längst überfällige Ausstellung seiner Arbeiten in der Rostocker Kunsthalle – eine Werk-Bilanz über mehr als 25 Jahre mit rund 250 Skulpturen und Arbeiten auf Papier, darunter viele archaisch wirkende Statuetten und Torsi, modellhaft verkleinerte Grundmauern und Labyrinthe. Schliemann wäre wohl hin und weg!

Beim Rundgang durch die vorzüglich gestaltete Schau erweisen sich die meisten Exponate freilich als Produkte einer sehr heutigen Kunst, die in humanistischem Sinne zwischen Altertum und Zukunft, Ästhetik und Ethik vermitteln will. Fundstücke bleiben es dennoch, denn der Bildhauer hat sie in seinem Kopf und zwischen seinen Händen „entdeckt“. Nicht wenige stehen auf alten Steinen, die er aufgehoben hat, manche sind zur Gänze gefundene, zum Kunstwerk transformierte Dinge.

„Wolfgang Friedrich gehört zu den innovativsten Bildhauern hierzulande“, meint der Rostocker Kunstwissenschaftler Klaus Tiedemann. Zur Eröffnung der Ausstellung erklärte er am Sonnabend vor über 250 Gästen in der Kunsthalle, wie der Künstler „aus der Beschäftigung mit Skulptur und Architektur der antiken Hochkulturen und der Plastik der Klassischen Moderne zu einer ganz eigenen Bildsprache gefunden hat.“

Friedrichs Welt spricht den Betrachter sinnlich und direkt an. Seine kunstvollen Figuren – ob Akt oder Gewandtorso, klassisch oder expressiv, einzeln oder im Ensemble – vermitteln universelle menschliche Regungen wie Liebe und Angst, Lust und Qual, Stolz und Trauer. Durch ihr überwiegend kleines Format und ihre Materialität wirken viele zudem seltsam amorph, verletzlich, gefährdet, und dieser Eindruck wird durch das Bruchstückhafte, Rudimentäre ihrer Inszenierung häufig noch verstärkt.

Wolfgang Friedrich überlässt seine Figuren nur ungern sich selbst. Meist gibt er ihnen mit kundiger Hand eine Bühne, die ihre Würde und Wirkung verstärkt oder setzt sie in wohlgemessenen Räumen zueinander in Beziehung. Gern nutzt er die damit verbundenen Möglichkeiten zu Variation und Spiel. Ein vielfach abgestuftes Schachbrett in Form eines Pyramidenstumpfes bringt die Idee des Spiels am konsequentesten auf den Punkt.

Aus Quietschwatte-Verpackungen macht der Künstler überraschende architektonische Objekte, die wie Grundmauern versunkener Paläste oder Tempel aussehen. Die baugebundenen Arbeiten Friedrichs, die Straßen und Plätze in vielen Orten des Landes prägen, sind in der Ausstellung leider kaum dokumentiert, die für ihn typische enge Verbindung von Figur, Figuration und Architektur aber ist überall augenfällig.

Beispielhaft dafür stehen Arbeiten wie etwa „Im Kreis“ (2000) oder das „Archäologische Grabungsfeld“ von 1984. In seiner perfekten Balance von vertikalen und horizontalen Elementen verführt das bronzene Tableau den Blick immer wieder zu spannenden Erkundungen auf dem reich patinierten Grund. Was sich da an Fantasien entwickeln mag, bleibt indes vage: Bei Friedrich ist der Betrachter immer aufgefordert, das Geschaute weiterzudenken. Neben der Dialektik von Morbidität und Vitalität sind es die konsequente Form und die Offenheit der Aussage, die seine Arbeiten so modern und interessant machen.

Aus Terrakotta und Bronze, Blei und Kupfer, Stein und Stahl sind längst nicht alle der ausgestellten Stücke. Viele Figuren sehen zwar ehern aus, sind aber aus Wachs – eigentlich die Vorstufe des Bronzegusses. So gewährt Wolfgang Friedrich Einblick in die Werkstatt des Bildhauers: In seinen Händen ist die Welt wie Wachs – formbar in seinem Sinne. Auf die Wachse verweist er auch, wenn er nach den neuesten Arbeiten in der Schau gefragt wird – fast alle hat er in jüngster Zeit überarbeitet.

Überraschend und überaus reizvoll ergänzt wird das plastische Werk in der Kunsthalle durch eine Reihe von Bildhauerzeichungen in Blei und Kohle, edle Materialdrucke, abstrakte Radierungen und Gouachen, in denen Friedrich seiner Lust an der Farbe nachgibt.

Das Verhältnis von Welt und Modell in seinem Schaffen aber bleibt in der Schwebe. Sicher nehmen viele seiner Arbeiten Bezug auf die erhabene, versunkene Welt der Antike. Sie könnten auch als Entwürfe für eine Neuauflage des klassischen Arkadien gesehen werden. Oder aber als die eigentliche, mit eigenen Händen erschaffene Welt des Bildhauers. Es ist Friedrichs Welt, und um das zutiefst Menschliche darin zu finden, muss man kein Archäologe sein.

Bis zum 16. Mai Di – So 10 – 18 Uhr.

JAN-PETER SCHRÖDER

 

 
 

 

 
 

Norddeutsche Neueste Nachrichten v. 11. April 2005

Bekenntnis zur Figur

Wolfgang Friedrich im Rampenlicht der Kunsthalle

Es ist eine wundervolle Ausstellung! Die Kunsthalle Rostock zeigt Werke aus 25 Jahren des Bildhauers, Zeichners und Malers Wolfgang Friedrich.

Wie beliebt der heute 58-jährige bei seinen Rostockern ist, zeigt nicht nur der nicht enden wollende Zustrom an Gästen der Vernissage, sondern auch die Anwesenheit von Minister, Senatorin und Bürgerschaftspräsidentin.

Ob der Betrachter sich zur Petrikirche begibt, zum Fünfgiebelhaus am Uni-Platz, zum Wasserlauf in der Schnickmannstraße oder zum Ümgangbrunnen nach Warnemünde, er begegnet nicht nur dort der Kunst eines Wolfgang Friedrich im städtischen Raum. Natürlich ist der Ausstellungstitel "Die Welt als Modell" ein wenig hoch gegriffen, er könnte Weltumfassungsphantasien bedienen und damit im Anspruch völlig vorbeigehen an den Intentionen des Künstlers. "Ich sehe da eher ein Dialog in Raum und Zeit", meint Friedrich bescheiden und schaut dabei etwas verlegen zur Seite. Rummel um seine Person ist ihm sowieso suspekt. Aber in einer medialen Welt, wo zählt, wer wahrgenommen wird, da muss auch der gewollt Zurückgezogene ins Rampenlicht. Und so blinzelt er schüchtern in die Fotolinsen und staunt über so viel Zuspruch von Menschen, die nur seinetwegen in die Kunsthalle gekommen sind.

Von einem Bein aufs andere trippelt er, wenn der Kunstkenner Tiedemann von dem beeindruckenden Schaffen spricht, das Bekenntnis zur gegenständlichen Figur hervorhebt oder vom verkappten Bühnenbildner spricht, der in all seinen Arbeiten nicht nur einen Rück- und Ausblick gestattet, sondern auch noch Entdeckungen zulässt, da Friedrich ins Offne lädt. Dorthin nämlich, wo der Betrachter die Möglichkeit hat, die Geschichte des Künstlers weiter zu denken und auf sich zulaufen zu lassen. Daran trüge der Spieltrieb Friedrichs Anteil, ein Schaffensantrieb, der in seinem "Schachspiel" Ausdruck finde, aber auch in Bronzefiguren auffindbar sei, in den Bleistiftzeichnungen zur Jazzband des "Willem Breucker Kollektivs" oder in den Kohlezeichnungen "Kollegen". Kaum an sich halten kann Wolfgang Friedrich dann, bei dem Versuch von Prof. Peter Baumgarten, eine eigentlich prächtige Rede-Idee in ein Gewirr von Lobpreisung, Bildungsvortrag und Anekdötchen ausufern zu lassen. Wäre er doch bei der eigenwilligen Beschreibung der drei Ateliers von Friedrich geblieben, das hätte viel über den Künstler und sein Verhältnis zu ihm ausgesagt.

Wolfgang Dalk